Ich habe ein Problem und keine Ahnung, was ich tun soll. Ein panikartiges Gefühl kriecht mir den Nacken hoch. Ich atme tief durch. Nur nicht den Kopf verlieren, sondern in Ruhe nachdenken. Ich darf mir jetzt nichts anmerken lassen, immer lächeln. Ein Blick auf die Uhr zeigt mir, dass es bereits 22:30 Uhr ist.
Die Landung war unkompliziert. Pünktlich um 20:20 Uhr setzte das Flugzeug auf. Nach der Landung hatte ich das Gefühl, als ob mir die Realität entgleiten würde. Alles fing an, merkwürdig zu werden. Das Flugzeug fuhr und fuhr und fuhr herum. Draußen war es dunkel und die Fenster beschlagen, so sah ich nur hin und wieder schwachen Lichtschein außerhalb des Flugzeugs, konnte aber nicht erkennen, wohin wir fuhren. Nach 15 Minuten Fahrt wurde ich unruhig. Nach 20 Minuten war ich überzeugt, dass der Pilot sich verirrt hatte.
Endlich kamen wir zum Stehen. Als ich auf die Gangway hinaustrat, schlug mir feuchtwarmer Nieselregen ins Gesicht.
Mein erster Gedanke: Oh eine Dampfsauna, und das ganz umsonst!
Draußen warteten zwei Busse, die viel zu klein waren für diese Anzahl von Menschen. Ich wurde zwischen den vielen Körpern bis zur Bewegungslosigkeit eingequetscht.
Der Bus brachte uns zum Flughafengebäude. Meine Mitpassagiere fingen an zu rennen, nachdem sie den Bus verlassen hatten. Ich wunderte mich über die Eile und trabte hinterher. Über dem Eingang stand die Aufschrift „akwaaba“, was auf Twi „Herzlich Willkommen“ heißt. Twi ist eine der meistgesprochenen der 200 ghanaischen Sprachen.
Als ich das Gebäude betrat, war ich irritiert von dem heruntergekommen Zustand. Die Farbe blätterte von den Wänden, in den Ecken hingen Spinnenweben, der Putz fiel an einigen Stellen ab. Ich habe immer gedacht, ein internationaler Flughafen einer Hauptstadt, selbst wenn sie in Afrika liegt, sei trotzdem modern und auf dem neuesten Stand.
Ich bog um die Ecke, links von mir ein Schalter für die Passagiere, die ohne Visum angereist waren. Jetzt sah ich auch, warum sich alle so beeilt hatten: Lange Warteschlangen wanden sich durch den Raum zu den Schaltern mit der Passkontrolle. Ich stellte mich an und freute mich, endlich mal in der richtigen Schlange zu stehen, denn es ging rasch voran – bis mir klar wurde, dass ich vor dem falschen Schalter stand. Dieser war für ghanaische Staatsbürger reserviert. Ich wurde abgewiesen und musste mich wieder ganz hinten anstellen, diesmal in eine der beiden Reihen für visumspflichtigen Passagiere. Eine Stunde später stand ich immer noch an. Die zweite Schlange, also die, in der ich nicht stand, bewegte sich wesentlich schneller, als die, die ich gewählt hatte. Verdammt, es ist immer das Gleiche, egal ob bei Aldi oder hier. Heimlich versuchte ich, die Reihe zu wechseln und erntete böse Blicke. Aber niemand sagte etwas, es herrschte stoische Gelassenheit. In Deutschland wären die Leute längst ausgeflippt.
Endlich stand ich vor dem Schalter. Nun war auch klar, warum es so langsam voran ging. Nicht nur Pass- und Visumkontrollen wurden vorgenommen, da stand auch noch ein Dactyloskopie-Gerät. So etwas habe ich noch nicht gesehen, nicht mal im Fernsehen, da zeigen sie nur den urzeitlichen Dactylosaurus. Auf Deutsch gesagt: Das Gerät ist ein Fingerabdruck-Scanner. Ich musste meine Finger in Reihenfolge auf die grün leuchtende Fläche legen. Allerdings wechselte das Gerät dann seine Farbe und blinkte hektisch in Rot – ein Zeichen, dass ich irgendetwas falsch gemacht hatte und der Scan nicht erfolgreich war. Nach dem fünften Fehlversuch wurden die Leute hinter mir unruhig und der Mann am Schalter winkte mich genervt durch, obwohl die Maschine immer noch protestierte: Rot, rot rot!
Inzwischen waren knapp zwei Stunden seit der Landung vergangen und ich machte mir Sorgen um meine Koffer. Ich lief um die nächste Ecke. Das Gepäckband kam in Sicht, und ich sah erleichtert meine beiden Koffer mit anderen Gepäckstücken auf dem Band geduldig ihre Kreise ziehen. Bepackt mit meinem Rucksack und den beiden Trolleys, die ich aneinander gebunden hatte, ging es um die nächste Kurve.
Gepäckkontrolle. Die Passagiere, die vor mir gingen, wurden allesamt an Tische geführt, hinter denen Beamte warteten, um die Koffer zu öffnen und zu durchsuchen. Was sollte ich jetzt machen? Ich habe einen ganzen Koffer voller Geschenke bei mir, aber keine Quittungen darüber. Musste ich nun Zoll zahlen für das ganze Zeugs? Ich stand unentschlossen in dem Durchgang und wussten nicht, ob ich einfach weitergehen sollte oder nicht. Auch die Leute hinter mir wurden an die Tische geleitet. Ich wurde einfach ignoriert, als wäre ich Luft. Ich ging ein paar Schritte weiter, und blieb wieder stehen. Das war mir jetzt zu blöd, ich wandte mich an zwei Beamte, die rumstanden und fragte, ob man mich denn nicht auch kontrollieren wolle. Irgendwas war falsch an meiner Frage, denn sie sahen mich total verwirrt an und bedeuteten mir, dass ich einfach weitergehen solle. Bevor ich um die nächste Kurve bog, drehte ich mich noch einmal um und sah, wie sie ihre Köpfe schüttelten und mir ungläubig hinterhersahen.
Und nun stehe ich hier auf einem dicken Punkt, der auf dem Boden aufgeklebt ist. Darauf steht ein Schild mit der Aufschrift „Meeting Point“. Ich sehe mich um, dies ist also der Treffpunkt, ich sehe aber niemanden, der mir bekannt vorkommt. Inzwischen ist es 22:30 Uhr und Kofi ist nicht da! Ein junger Mann, den ich nicht kenne, setzt sich demonstrativ auf eine der Bänke direkt vor meine Nase. Ich tue, als ob alles in Ordnung wäre und warte. Die Minuten ziehen vorbei. Der junge Mann lächelt mich erwartungsvoll an.
Sein Gesicht sagt: Ich habe viel Zeit, ich kann warten. Wenn Dich sonst keine mitnimmt, dann wird es mir eine Freude sein, Dich abzuschleppen.
Ich drehe ihm den Rücken zu und versuche mich zu beruhigen.
In meinem Kopf beginne ich ein Selbstgespräch: Bleib ganz ruhig. Der junge Mann will sicher nur helfen. Lass Dir nicht ansehen, wie verunsichert Du bist. Das hier sind alles normale Menschen mit zwei Augen zwei Ohren und einem Mund. Keine Außerirdischen in Sicht. Es gibt also keinen Grund, sich zu fürchten, nichts ist fremd, alles ist gut, alles ist unter Kontrolle. Lächel und denk nach.
Ich kenne die Adresse des Hotels. Kofi sagte, es sei in der Nähe des Ghettos, in dem er wohnt. Ich könnte mir ein Taxi rufen. Allerdings hatte die alte Frau im Flugzeug gesagt, dass ich mich nicht allein auf den Weg machen sollte. Eine Flughafen-Angestellte kommt auf mich zu und fragt, ob sie mir helfen kann. Ich verneine. Ich brauche keine Hilfe von Fremden, ich brauche jetzt einfach nur meinen Freund an meiner Seite. Vielleicht funktioniert ja mein Handy. Ich hole es aus meiner Gürteltasche und mache es an. Tatsächlich, ich habe Empfang und das Display zeigt mir zwei unbeantwortete Anrufe von Kofi. Ich wähle seine Nummer, meine Hände zittern. Mist, das Gespräch baut sich nicht auf.
Was mache ich denn jetzt?