Morgen beginnt das Abenteuer meines Lebens. So jedenfalls fühlt es sich an. Meine Mutter scheint allerdings davon überzeugt zu sein, dass sie mich nie wieder zu Gesicht bekommen wird. Sie versucht alles, um mich von meinem Entschluss abzubringen, nach Afrika zu reisen.
Gestern brachte sie dann verzweifelt ihr letztes Argument hervor: “Kannst Du die Reise nicht um ein Jahr verschieben?”
“Um ein Jahr verschieben? Wieso?” Ich verstand nicht, worauf sie hinaus wollte.
“Nächstes Jahr wird Martin 18 Jahre alt und volljährig”, erwiderte sie.
Nun war klar, was sie meint. Meine Mama geht in Gedanken alle Schreckensszenarien durch und sie glaubt, es wäre unkomplizierter, wenn mein Sohn bereits 18 Jahre alt sein würde, falls ich nicht mehr zurückkehre. Es tut mir leid für sie, aber ich lasse mich durch nichts und niemanden von meinem Vorhaben abbringen. Daher wurde ich fast ärgerlich, als sie wieder davon anfing.
Ich patzte sie an: “Welchen Unterschied macht es für Martin, ob ich dieses oder nächstes Jahr nicht mehr wiederkomme?”
Die Tränen in ihren Augen ignorierte ich.
Ich habe meiner Familie und meinen Freunden erzählt, dass ich dort eine Bekannte besuchen werde, die ich persönlich kenne und die vor einigen Jahren nach Afrika gezogen sei. Das ist gelogen. Hätte ich ihnen die Wahrheit gesagt, dann wäre nicht nur meine Mutter besorgt, sondern alle, die mich kennen.
Es gibt keine Bekannte in Afrika. Dafür gibt es jede Menge Internetbekanntschaften, die ich über die letzten Jahre angehäuft habe. Und einige dieser Online-Freunde werde ich besuchen. Morgen geht der Flug nach Westafrika, genaugenommen nach Ghana. Ghana ist kein klassisches Touristenziel, das wurde mir klar, als ich die Reise gebucht habe. Ich konnte kein Hotel in einer angemessenen Preisklasse finden, denn die Preise der angebotenen Hotels sind unglaublich hoch. Dabei will ich nicht nach New York oder Paris fliegen, sondern nach Accra, der Hauptstadt von Ghana, wo ein großer Teil der Bevölkerung ohne fließendes Wasser lebt und wo täglich der Strom über Stunden ausfällt. Mir erscheint es unangemessen, dort in einem Novotel oder im Radisson Resort Hotel abzusteigen. Ich will die Menschen hautnah erleben, ich will wissen, wie sie leben und meine Freunde will ich nicht hochherrschaftlich in einem Luxushotel empfangen. Abgesehen davon, dass mein Geldbeutel dies sowieso nicht hergeben würde. Also habe ich einen meiner Internetbekannten gebeten, mir eine saubere Unterkunft zu besorgen, mit fließendem Wasser, Badezimmer und zu einem angemessenen Preis.
Der gute Mann hat mir ein Zimmer in einem kleinen Hotel gebucht, dass in der Nähe des Ghettos liegt, in dem er lebt. Auf den Bildern sieht es recht ansprechend aus, obwohl es mir eher wie ein Gästehaus und nicht wie ein Hotel erscheint. Ich bin zufrieden, auch mit dem Preis. Allerdings musste das Zimmer bereits bei der Buchung bezahlt werden. Daher hatte ich das Geld schon vor Wochen per Western Union an meinen Bekannten gesendet. Ich muss zugeben, dass mir dies gar nicht behagt, da ich ungerne in Vorkasse gehe, aber jetzt ist es eh zu spät, sich Gedanken zu machen. Morgen geht es los und bald wird sich zeigen, ob ich in einem Traum oder in einem Albtraum landen werde.